Das Einstudieren des neuen Programms läuft bereits auf Hochtouren – eine schöne Mischung von Lieblingssongs aus unserem Repertoire und ganz neuen Stücken. Einige davon sind sehr ambitioniert. Für ein niederländisches Stück, das wir mit steigender Vorfreude auf unsere Chorfahrt nach Terschelling einstudieren, singen wir zum Teil mit sage und schreibe vier Sopranstimmen, drei Alt-Stimmen, zwei Tenorstimmen und Bass! Ein wunderschöner Klangteppich, der unglaublich anspruchsvoll ist für die einzelnen Stimmgruppen. Aber das Arbeiten daran, das Reinhören, das Aufeinander-Hören, die Weiterbildung des klanglichen und stimmlichen Hörens ist ein spannender Prozess des (Zusammen-)Wachsens für den Chor.
Einige Stücke sind speziell für unseren Chor arrangiert und besondere Highlights – so wird zum Beispiel ein weltbekannter ukrainischer Popsong über Krieg und die Hoffnung auf Frieden zu einem jazzigen und bewegenden Chorlied.
Eines der neuen Stücke aber stellt vielleicht die größte Herausforderung dar: Zum Anlass der 80-jährigen Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager hat der Chor beschlossen, ein Stück der im Konzentrationslager Ravensbrück (Fürstenberg an der Havel, Brandenburg) internierten tschechischen Widerstandskämpferin und Musiklehrerin Ludmilla Peškařová zu singen. Singen, Musik, Dichten und Komponieren im Lager, bei Zwangsarbeit, Gewalt, Mord, Todesangst und Hunger, war für sie Widerstand, Lebensmut und Kraft. In den ersten Monaten des Jahres 1945 waren die Bedingungen im Lager verzweifelt – es war komplett überfüllt, es fehlte an allem Lebensnotwendigem. Essen gab es in den Lagern grundsätzlich von Anfang an nicht genug, aber jetzt reichte es nicht mehr zum bloßen Überleben. Gaskammern wurden in Betrieb genommen und Frauen fast täglich „selektiert“. Alle lebten in einem Zustand von Todesangst und völliger Erschöpfung. In den letzten Wochen vor der Befreiung verstärkte sich die Not, aber auch die Hoffnung. Ludmilla Peškařová erlebte sie in einer Art Trance. Fast verhungert und zu Tode geschwächt, hatte sie eine bewegende Vision – sie sah und hörte einen Chor von noch gefesselten und als tot abgeschriebenen Frauen aus Ravensbrück, die in einen mächtigen Choral zu ihrer Befreiung einstimmten. Überlebende und tote, Frauen aber auch die Männer vom nahen Männerlager, singen von ihrer Sehnsucht nach Zuhause, aber auch als Appell an die jüngere Generation, das Leben aller Menschen zu ehren, Kriege zu vermeiden und die Hoffnung auf eine bessere Welt zu verwirklichen, anzupacken. Man merkt es dem Choral an, dass er in einer Extremsituation komponiert wurde – er ist voller Furchen, Sprünge und Stolpersteine. Unser Chorleiter Eugen Zigutkin hat ihn sehr einfühlsam und originalgetreu für vier Stimmen arrangiert und wurde bei der Textnotation und Übersetzung tatkräftig von einer Tschechisch-Sprecherinin unserem Chor unterstützt. Es ist eine große Ehre für uns, diesen „Chor der Tausend Stimmen“ zu singen – gerade in diesem Jahr.